
Von I-dioten und E-Dioden
im E-Auto, an der Ampel und immer vor dem eigenen Auto
Ich gestehe es Ihnen gleich: Dieser Text ist eine Auftragsarbeit. Ein mir sehr nahestehender Mensch möchte, dass ich dem E-Auto und seinem Fahrer auf die Schliche komme. Beziehungsweise mich in seiner Spur breit mache, um anschließend sprachlich über ihn herzufallen. Im Straßenverkehr ist das Hinterherschleichen ja ganz leicht: Man erkennt diese Fahrzeuge an ihrem E am Ende des Autokennzeichens. Spätestens an der nächsten roten Ampel. Für den mir sehr nahestehenden Menschen ist das Erkennen dieser Fahrzeuge nach jahrelanger Übung noch leichter: Er identifiziert sie aufgrund des Verhaltens ihrer Fahrer zu einem Zeitpunkt, an dem er das Autokennzeichen bei Weitem noch nicht lesen kann.
Der Fahrer eines E-Autos nämlich hält sich in der Regel an die Straßenverkehrsordnung. Was ja an und für sich weder verboten noch schlecht ist. Doch die E-fahrer (sie sind also erfahren ohne r), so die Wahrnehmung des Mannes an meiner Seite am Steuer eines Nicht-E-Autos, halten sich so akribisch an die Straßenverkehrsordnung, dass ihr Verhalten dann und wann erratische Züge bekommt. Gerne auf den Gürteln und Ringen quer durch Köln. Ungerührt und ohne eine Veränderung seiner Fahreigenschaften fährt der E-fahrer in seinem E-Auto dann auf die nächste Ampel zu, die der nachfahrende Autofahrer, nämlich meistens mein Mann, noch für tiefgelb halten würde. (Männer haben mit dem Erkennen von Farben manchmal Schwierigkeiten, die Frauen in dieser Form nicht haben.) Nichts, aber auch gar nichts, deutet darauf hin, dass der E-fahrer diese Ampel nicht überqueren wird. Bis zu dem allerletzten Moment nicht, in dem dann die tiefgelbe Ampel blitzschnell feuerrot wird. In Nullkommanichts steht dann der E-fahrer mit seinem E-Auto ungerührt und unbeweglich, also quasi e-motions-los – vor der tiefroten Ampel, wie es sich für jemanden, der die Straßenverkehrsordnung beherrscht, auch gehört. Oft zum Schrecken seines Nachfolgers, dem es nicht schwergefallen wäre, den allerletzten Moment der tiefgelben Ampel noch zum Vorteil seiner Nach-fahrer mit Hilfe von nur geringem Druck auf das Pedal unter dem rechten Fuß auszunutzen, um schnell noch davonzufahren. In einer Stadt wie Köln, in der die grüne Welle auf langen Strecken vom Takt der Straßenbahn in vollen Zügen nur allzu häufig verunmöglicht wird, sind diese Momente, die den E-fahrer vom Er-fahrer unterscheiden, von großer Bedeutung. Das werden Sie verstehen, oder?
Soweit meine Einleitung. Beobachten Sie es selbst. Ganz sicher werden Sie auch außerhalb von Köln zu dem Ergebnis kommen: Es stimmt. Der E-fahrer ist ein I-diot. (Trigger-Warnung: Vorsicht, mit Schimpfworten im Autoverkehr: Vergewissern Sie sich erst, ob Ihre Fensterscheiben geschlossen und Ihre Beifahrer geduldig sind! Sie könnten sonst andere Menschen verletzen, kompromittieren oder beleidigen. Und das wiederum zieht Bußgelder nach sich, die Sie am Ende sowohl treffen als auch triggern könnten!)
Womit wir nun beim eigentlichen Thema wären. Wie kommen wir, sprachlich und inhaltlich, vom Fahrer eines E-Autos zu diesem Schimpfwort, das mit I beginnt und das es dem Er-fahrer erleichtert, seinen E-Motions-Status nicht in einen E-Motions-Stau zu verwandeln? Und wie kriegen wir das auf die – politisch möglichst auch noch korrekte – Kausalkette? Und ganz nebenbei: Wie soll ich denn nun den Er-fahrer gendern? Denn die Frauen kommen ja bislang am Steuer in diesem Text noch gar nicht vor. Als She-Fahrer? So wird uns die Kausalkette allenfalls idiomatisch, vielleicht sogar idiotisch. Aber über die Ziellinie fahren wir damit lange noch nicht. (Und das dritte Geschlecht? Da müssen wir entweder auf den englischen Cardriver zurückgreifen – oder auf den Fahrenden verweisen. Der aber sprachlich wieder entweder männlich oder weiblich sein muss. Und auch der Fahrzeugführende, der mir im Internet als geschlechtsneutral angeboten wird, kommt nicht weiter, ohne zumindest das grammatikalische Geschlecht zu benutzen.)
Versuch Nummer 1:
Der Duden kennt noch keinen E-Fahrer, hat aber keine Probleme mit dem E-Auto. Auch der E-Müll ist – unweit von der E-Mail – längst orthographisch anerkannt. Ein E-Car hingegen hat im Duden weder Vorfahrt noch Ausfahrt, das T-Car aber schon. Wer das E-Car dennoch im Duden sucht, findet aber immerhin eine E-Card. Gesprochen: I-Kart. Phonetisch unweit vom Gokart, der in den 50er-Jahren tatsächlich zuerst als Kinderwagen seine Car-riere begann, bevor er sich zum Rennwagen herausputzen ließ (und dann so eingedeutscht wurde, dass es im Duden seinen Bindestrich verlor). Den Karren liest man heute noch in ihm, wenn man genau hinschaut. Und dieser Karren steckt ja nun auch zweifelsohne sprachlich im E-Car.
Aber haben wir so nicht den ganzen Karren idio-logisch in den Sand gefahren?
Versuch Nummer 2:
Wer ist denn überhaupt der Idiot, ursprünglich und etymologisch? Die Griechen, und jetzt wird’s wirklich bezeichnend, benutzten das Wort nämlich (zuerst) als rein sachliche Benennung für Privatpersonen, die am politischen Leben nicht teilnahmen, obwohl sie es vielleicht gekonnt hätten, und sich nur um ihren Hausstand kümmerten. Später, als es in der Demokratie Griechenlands darauf ankam, dass der wissende Bürger sich engagierte, begann der Idiot sich schon dort unbeliebt zu machen. Im Lateinischen wurde er schließlich zum Unwissenden und Pfuscher, so belehrt uns Wikipedia. Bis dann die Mediziner und Psychologen ihn zur Kategorie erhoben und in die Anstalt verwiesen, was sein Wesen in der Folgezeit dann unsäglich machte.
https://de.wikipedia.org/wiki/Idiot
Kommen wir auf diesem Weg zum Ziel? Ja.
Unbedingt und sogar geradeaus. Denn: Der Deutschen liebstes Schimpfwort im Auto ist und bleibt der Idiot. Mit 15 Prozent liegt er ganz weit vorne, das Arschloch folgt ihm mit einem Abstand von ganzen vier Prozent. Hat also nur 11 Prozent. Der Penner, der Blödmann und der Depp liegen abgeschlagen ganz weit hinten im Rennen, mit jeweils 6 (Penner) oder 5 Prozent. Woher ich das weiß? Aus der Bild-Zeitung vom 23.05.2024:
https://www.bild.de/leben-wissen/auto/grosse-umfrage-so-fluchen-deutschlands-autofahrer-664deaadaf76894fa00707e3#:~:text=Das%20sind%20die%20Top%205%20der%20beliebtesten,1)%20das%20beliebteste%20Schimpfwort%20hinter%20dem%20Steuer.
Eleganter geht es doch schon fast gar nicht: Die Griechen siedelten den Idioten im privaten Haushalt an, die Psychiatrie voriger Jahrhunderte steckte ihn ins Irrenhaus – und der deutsche Autofahrer findet ihn schimpfend und fluchend zu 15 Prozent in genau dem Auto wieder, das ihm ständig zuvorkommt. Beziehungsweise: das jeweils vor ihm herfährt. Jetzt auch noch mit einem E am E-nd-E des Nummernschilds.
Nur die Schreibweise des Idioten, die könnten wir jetzt bei dieser Gelegenheit doch vielleicht den modernen Sprach- und Fahrgepflogenheiten anpassen, oder? Für den E-fahrer (ohne r) im E-Auto. Angelehnt an die E-Mail, den E-Müll, das E-Business, die E-Akte, das E-Rezept, das E-Learning und so weiter. By the way: Erinnern Sie sich noch an die E-Lok? In meiner Kindheit hatten die Jungs beim Quartett mit der E-Lok einen echten Trumpf in der Hand. Die E-Lok ist also deutlich erfahrener als das E-Auto. Aber so kommen wir nur vom Weg ab. Zurück zum orthographisch anzupassenden Idioten. Ich schlage vor, wir schreiben analog: E-diot. Der wiederum liegt sprachlich ganz in der Nähe der E-Diode. Die gibt es zwar nicht wirklich, da sie bislang gut ohne E und Bindestrich auskommt. Aber die E-Diode könnte uns sehr nützlich werden, wenn wir den Nachfahren die E-dioten im E-Car erklären wollen: Die Diode ist laut Duden ein „elektronisches Bauelement, dessen Widerstand in extremer Weise von der Polarität der angelegten elektrischen Spannung abhängt“.
Eigentlich ging es in diesem Artikel doch um nichts anderes als um die Polarität der angelegten elektrischen Spannung. Oder sehen Sie das anders?
Und wenn wir uns dann noch um die Etymologie der Diode bemühen, stellt sich heraus: Sie ist im Grunde ein Kunstwort mit altgriechischen Wurzeln. Di heißt zwei, und odos ist der Weg, der Durchgang. Kurz: Lassen Sie die E-dioden doch einfach den jeweils anderen Weg fahren. Dann können Sie sich auch das Autofenster wieder öffnen und sich das Bußgeld für den E-dioten sparen, (selbst dann, wenn Sie einen fahren lassen wollen. Das ist noch keine Ordnungswidrigkeit und könnte das Stänkern ersetzen.)
© Mechthild Eissing, 2025