Von helfenden Elfen und dem Herd auf dem Hof
Manchmal stolpert man ja über die eigene Sprache. Bis gestern waren dann die Worte selbstverständlich. Und dann – zack – tut sich ein anderer Sinn auf. Mir ging es gestern so, als ich in der Zeitung von 1766 die helfenbeinene Zahnbürste fand. Klar: Elfenbein. Aber erstens:
Was hatte das H da damals zu suchen?
Und zweitens: Sowohl das Bein und als auch Elfe haben mit dem Elfenbein ausgesprochen wenig gemein. Stellen Sie sich mal die Elfe mit dem Stoßzahn eines Mammuts vor. Ja gut, das Mammut ist ausgestorben. Aber die Elfe kommt ja ihrerseits auch aus einer anderen Welt. Wenn wir aber den Stoßzahn eines Elefanten nehmen, liegen wir bei der Elfe (mit Bein im sprachlichen Gefolge) wieder vollkommen richtig. Denn er ist es, der sich hinter dem Wort verbirgt. Die Griechen sprachen immer vom eléphas – wir aber, im Althochdeutschen vom Helfant.
Womit wir wieder beim H des Elefanten wären. Sprachlich diente das, bildlich gesprochen, zum Anlauf nehmen. Damit man nicht gleich mit dem Mund in den Vokal stürzen muss. Später ist es weggefallen. Wie beim Herd, aus dem später sprachlich die Erde hervorging.
Die Spanier pflegen diesen H-Anlautbrauch übrigens immer noch: hermanos, hostal, hola, hora, hijo, huevo. Wenn Sie diese Wörter authentisch aussprechen wollen, lassen sie das den ersten Buchstaben einfach weg.
So, nun wären H und Elfe im Helfenbein schon fast erledigt. Aber uns bleibt noch das Bein. Nähmen wir dieses Wort wörtlich, müssten wir den ganzen Elefanten auf den Kopf stellen, damit er auf den Stoßzähnen läuft. Diese Zirkusnummer ist nicht nur unmöglich, sie wäre heutzutage auch noch verboten. Von der Elfe kann das Bein aber nicht genommen sein, denn sie ist ja gar nicht aus Fleisch und Blut. Also wird sie niemals ihr eigenes Bein dem Elefanten zur Verfügung gestellt haben. Selbst dann nicht, wenn sie eine helfende Elfe ist.
Also müssen wir auch hier zurück bis ins Althochdeutsche: Das Bein ist damals nichts weiter als ein Knochen. Wir wissen das auch noch: wenn die Archäologen Gebeine finden, zum Beispiel. Oder wenn die Briten von den „bones“ sprechen. Wenn Ihnen übrigens der Anblick der Gebeine eines Toten durch Mark und Bein geht, sind immer noch nur Ihre Knochen gemeint. Selbst wenn Sie über diese Redewendung noch nie gestolpert sind.
Damit von der helfenden Elfe zurück an den Herd. Der bezeichnete einstens die Feuerstelle auf der Erde, zog dann in Haus und Hof. Die Erde blieb draußen und der Herd verlor quasi einen Bezugspunkt. Aber das ist sprachlich gesichert: Der Herd ist eine irdische Angelegenheit.
https://www.wisdomlib.org/de/names/herd
Allerdings ist das nur die halbe Wahrheit. Denn die Herde ist sprachlich mit der Erde so gar nicht verwandt. Allenfalls vielleicht mit der Horde.
Wer nun weiter in Analogien denkt und den Hof vom Ofen ableiten möchte oder andersherum den Ofen vom Hof, der hat zwar das Prinzip gründlich verstanden. Doch grundsätzlich hält sich die Sprache überhaupt nicht mit Grundsätzen auf. Der Hof hat, so meinen jedenfalls die Etymologen, seinen Ursprung im Germanischen und auf dem Hügel.
https://dwee.saw-leipzig.de/etymology/Hof/de
Doch wo wir schon einmal fast vom Wege abgekommen wären: Was halten Sie davon, wenn wir hoffentlich und öffentlich parallel setzen? Dann wäre die Öffnung ein Weg zur Hoffnung – oder umgekehrt. Wir können aber auch mit dem Hopfen weiterarbeiten. Der liegt, volksetymologisch, ganz in der Nähe vom Hüpfen. Und dort wurde von manchen Etymologen der Ursprung des Hoffens vermutet. Aber: Das Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache hält das für fraglich.
https://www.dwds.de/wb/Hoffnung#etymwb-1
© Mechthild Eissing
Der Surz - eine nicht ganz kurze sprachliche Potenzialanalyse
Eines Morgens wachte ich auf und wusste: Der Sturm ist einsam. Sprachlich gesehen. Zwar stehen ihm, ganz unter uns gesagt, Turm und Wurm zur Seite, so wie dem Stand der Tand und die Wand beigesellt sind. Zwar könnte der Sturm also zum Beispiel mit dem Wurm vorliebnehmen, doch wo der Stand auf den Sand trifft, fehlt dem Sturm eindeutig ein Surm.
Und da geht es schon los. Anzunehmen ist wohl, dass der Surm männlich ist. Das ist nicht nur gefühlte Wahrnehmung. Es muss auch ein sprachliches Gesetz sein. Denn kein wie auch immer gearteter -urm ist weiblich. Während die Endung -and doch recht zwiespältig in Erscheinung tritt: die Hand und der Rand. Denen hinwiederum rein analog gedacht der Hurm und der Rurm zur Seite gestellt werden müssten. Aber ich wette, auch Sie sind vom Surm völlig fasziniert, während Sie den Hurm und den Rurm, gern auch versuchshalber die Hurm und die Rurm, als sprachliche Fehlentwicklung einordnen würden. Trotz ihrer Analogie zum Sturm.
Während der Surm also noch ziemlich unsagbar ist, weil es ihm bislang scheinbar an jeglichem Sinn mangelt, scheinen Hurm und Rurm eher unsäglich. Der Pfurm, das Pendant zum Pfand, scheint mir dagegen untragbar. Als unträglich könnten wir gar keines dieser Worte bezeichnen, denn hier ist Schluss mit der Analogie zu unsäglich. Untrüglich fehlt dem unträglich die Vorsilbe „er“. Und unerträglich wäre dann vielleicht gar nicht der Pfurm, sondern eher schon der Pfurz. Und das, obwohl es ihm an Bedeutung keineswegs mangelt. An die Seite des Pfurzes können wir dann den Sturz und die Wurz stellen, wobei die Wurz der Vergangenheit angehört. Auch sie benötigt eine Zusatzsilbe. Wir reden von ihr zumindest nur noch mit der Nachsilbe „-el“. Kurz: Der Pfurz bleibt nicht so allein wie der Sturm, auch wenn es den Turz und den Surz ebenso wenig gibt, wie den Surm. Oder den Rurz. Unter Hurz aber, können wir uns alle, auch wenn es ihn nicht gibt, etwas vorstellen: Der Hurz wohnt ganz bestimmt irgendwo zwischen Wald und Märchen. Auch wenn wir ihn noch nicht gesehen haben: Der Hurz ist lebendig. Wenn nicht in Norddeutschland, dann in Süddeutschland.
Apropos -el: Diese Nachsilbe verhilft auch dem -urm zur Weiblichkeit: Die Murmel. Die aber im Gegensatz zur Wurzel, die vielleicht als Wurz geboren wurde, nicht als Murm zur Welt kam. Aber – und das verblüfft jetzt doch – früher männlichen Geschlechts war. Das Grimmsche Wörterbuch nennt die Murmel dreimal. Zweimal männlich, einmal sächlich. Die erste Murmel würden wir heute als das Gemurmel bezeichnen, die zweite Murmel stammt von der Marmel ab, die hinwiederum mit dem Marmor verwandt ist. Und die dritte Murmel hat auf der linken Spaltenseite im Lexikon nicht einmal ein Geschlecht. Sie ist nur als Kurzform des Murmeltiers verzeichnet.
Die Wurz hingegen ist recht wechselhaft. Zwar gesichert weiblich, doch mal Pflanze, mal Wurzel. Der Versuch, sie wie die Stürze in den Plural zu setzen, ist erlaubt, führt uns aber zur Würze. Was nicht beabsichtigt war auf der Suche nach der Mehrzahl. Wahrscheinlich also Wurzen. Oder Wurzeln. Von der Wurzel ist es nur ein Katzensprung zum Purzel. Und auch ihn finden Sie, männlichen Geschlechts, im Grimmschen Wörterbuch gesammelt. Bekannt ist er nicht überall und auf den Hund gekommen wohl erst in neuerer Zeit. Die Grimms siedeln ihn nämlich in Leipzig an. Ein Kind ist es, ein wenig täppisch – und ständig purzelnd eben. Der Pudel, an dessen Kern wir so gerade eben glatt vorbeigeschliddert sind, hat ebenfalls eine Vergangenheit, die dem Hund nicht eben recht sein kann. Wobei: Sein wahrer Ursprung ist auch den Grimms nicht sicher ganz klar. Sie nennen aber Regionen, in denen der Pudel – oder auch Puddel – eine schmutzige, unordentliche Person ist, die schmutzige Arbeiten verrichtet. Klingelt da was: Aschenputtel ist in Wirklichkeit ein Pudel. Zum Tier wurde der Pudel erst über den Umweg der Zusammensetzung: Der Pudelhund ist der erste Schritt auf der neuen Fährte.
Mit dem Pudelhund sind wir nun gleich in die zweite Sprachebene gerutscht. Die Zusammensetzung: Während uns die „Sturzform“ als Zusammensetzung in einem Text zwar ungewöhnlich vorkäme, so würden wir doch verstehen, was gemeint ist. Die Pfurzform hingegen käme uns sehr gewöhnlich vor, auch wenn wir genau verstünden, was gemeint ist. Noch purzeliger wird’s, wenn man den Einzelworten in der Zusammensetzung nicht Zweitworte hinzufügt, sondern Vor- und Nachsilben: Der Vorsturm wäre denkbar, der Vorwand ist bekannt, der Vorsturz wäre möglich, der Vorpfurz – na ja. Allenfalls fantastisch.
Neues Spiel: Sie kennen die Tochter und vielleicht auch ihren Vater. Doch die Trochter kennen Sie gewiss nicht und auch nicht ihren Vrater. Eher schon kennen Sie den Frater, der niemand anderes ist, als der Bruder. Auch den Schwieter kennen Sie noch nicht, Sie würden ihn aber ebenso der Familie zuschlagen wie auch den Schwater. Den Trachter hingegen suchen Sie vielleicht im Ackerbau. Und ganz gewiss ist er über das Lateinische irgendwie sogar mit dem Traktor verwandt. Aber der Trachter lebt nicht auf dem Acker. Das Grimmsche Wörterbuch geht die Sache mit dem Trachter recht formal an: Der Trachter ist als nomen agentis zu betrachten, erklärt es uns. Ganz ohne Latein hätten wir das wohl auch gewusst. Es ist ganz einfach: Der Trachter trachtet. Im schlimmsten Fall Ihnen nach dem Leben. Der Betrachter hingegen wirkt da harmloser. Wenigstens meistens. Und Ihr Leben will er gar nicht. Er will allenfalls etwas vom Leben – und mischt sich mit seinen Betrachtungen ungewollt ein.
Doch zurück zum Surm. Er ist nicht so bedeutungslos, wie wir am Anfang annahmen. Bevor Sie jetzt weiterlesen, schließen Sie die Augen und halten die Ohren offen. Wenn Sie aus österreichisch-bayrischen oder angrenzenden Gebieten kommen, hören Sie ihn vielleicht schon längst. Allen anderen sei auf die Sprünge geholfen: Ein Surm ist ein Geräusch, Getöse und ein Lärm. Tatsächlich ist er männlich – und man kann ihn auch als Verb benutzen: surmen, sormen, sürmen oder sürmeln. Und alle vier Ausdrücke sind sprachlich verwandt mit dem „surren“.
Im Grimmschen Wörterbuch geht’s nach dieser Lektion dann bald schon weiter mit dem Surpf. Kein Witz. Das steht da wirklich. Um eine Erläuterung für den Surpf zu erhalten, müssen wir uns aber zum Sürflein blättern. Dieses Wort, das mit dem Scherflein verwandt sein muss, ist ein kleiner Schluck. Schlürfen Sie das Sürflein also mit Bedacht. Vielleicht gibt’s gar nicht mehr davon.
Ein Ass habe ich doch noch im Ärmel: Für das Wort Surz haben selbst die Brüder Grimm keine Verwendung. Sie haben also die freie Wahl – und können das Wort gebrauchen, wie Sie wollen. Gewiss haben Sie doch irgendwo schon einen bedeutenden Bedeutungsmangel entdeckt? Manchmal fehlen einem ja geradezu die Worte. Für einen solchen Fall stecken Sie sich jetzt den Surz auch in Ihren Ärmel. Vielleicht ist er ja eine kurze, abweisende Grimasse, mit dem Sie Ihrem Gegenüber seine wahre Bedeutung ganz ohne Sprache übermitteln. Vielleicht ist er aber auch das Geräusch, wenn Sie irgendwo gegen den Unterdruck gewonnen haben? Zum Beispiel beim Öffnen der Tiefkühltruhe? Oder beim Marmeladenglas? Aber da macht sich der Plopp schon breit. Vielleicht ist er aber auch das Tier, das niemals unter dem Türspalt hervorkriechen wird und Ihnen den Weg ins Mauseloch weist, wenn Sie mal ganz schnell verschwinden wollen.
© Mechthild Eissing
