Wer beherrscht den Geschirrspüler?

Kleiner Diskussionsbeitrag zum Kampf

um die Vorstellungen von den Geschlechtern

Wann ist der Mann ein Mann? Diese Frage konnte Herbert Grönemeyer noch nahezu unbefangen stellen. Das war vor fast ganz genau 40 Jahren – die Single wurde am 04.06.1984 ausgekoppelt. Das waren noch Fragen, oder? Oder war das schon der Anfang? Am Ende jedenfalls sind wir immer noch nicht: Die Fragen von heute lauten anders: Wann ist der Mann eine Frau, wann ist die Frau ein Mann? Und damit ist jetzt nur die Bandbreite der Diskussion gezeichnet – denn tatsächlich geht es ja viel mehr um die Mischformen. Die Palette ist bunt: Wie viel Mann darf eine Frau sein, wie viel Frau darf ein Mann sein? Oder: Wie wird ein Mann zur Frau und umgekehrt. Und das alles ist in der öffentlichen Diskussion so angestrengt bis anstrengend, dass die jüngsten aufsehenerregenden Bekenntnisse in Geschlechtsfragen zur Geschlechtslosigkeit tendieren. Das Mensch.

Rückblende. Es war im Jahre 1939. Am 12. Mai – und die Borkener Zeitung, eine kleine Zeitung im Westfälischen, von den Nazis übernommen, meldete süffisant aus Paris. Da hatte nämlich ein Herr die Bühne des Gerichtssaals betreten, im seidenen Abendkleid, mit Handtäschchen, toupiertem, blondiertem Haar – und man staune: rotlackierten Fingernägeln. Diese Liebe zum Detail machte dem Schreiber des Artikels richtig Freude. Dieser Herr aus Paris klagte gegen eine Illustrierte, die sich über ihn lustig gemacht hatte. Doch darum, soll es hier nicht gehen – die Geschlechterfrage ist ja gar nicht zum Lachen, oder? Der Artikelschreiber, und das ist jetzt vielleicht doch lustig, kommt zu der erstaunlichen Erkenntnis, dass das französische Gesetz dem Mann seine Frauenkleider nicht verbieten kann. Tja. Doch der Mann stand gar nicht vor der Anklagebank. Er war der Kläger. Aber wir schreiben ja noch das Jahr 1939.

Sei’s drum: Die wirkliche Erkenntnis des Schreibers kommt zum Schluss: „Das französische Gesetzbuch kennt lediglich ein Verbot für Frauen, Männerkleidung zu tragen. Dass es Männer gibt, die sich ladylike machen, hat der Gesetzgeber offenbar nicht für möglich gehalten.“ Der Schluss ist so amüsant, wie wahrscheinlich auch falsch. Der Gesetzgeber hatte nämlich möglicherweise Frauen in Männerkleidern für gefährlich gehalten – Männer in Frauenkleidern jedoch nicht.

Und: Schauen Sie sich um. Noch keine 100 Jahre später wissen wir längst: Frauen in Männerkleidern sind tatsächlich gefährlich. Zumindest wenn sie die besseren Männer sein wollen. Und wir sind noch einen Schritt weiter Richtung Zukunft: Frauen können in der Regierung längst wieder Frauenkleider tragen, auch wenn sie die besseren Männer sind. Sie wissen schon. Das ist echter Fortschritt: Frauen dürfen Männer in ihrer Wesensart weit übertreffen, sie dürfen dabei Frauenkleidung tragen, sogar feminine Frauenkleider, die die Neutralität des Kostüms, des Quasi-Anzug der Frau, überwinden – und sie müssen sich bestimmt nicht vor Gericht wehren, dass man sich über sie lustig macht. Dort würden sie allerdings auch nicht im Abendkleid mit rotlackierten Fingernägeln, blondiertem Haar und Handtäschchen auftauchen.

„Männer führen Kriege. Männer sind schon als Baby blau.“ Na, da isser doch wieder – der Humor. Gemeint ist natürlich nicht der Alkohol. Sondern die Farbe der Kleidung. Passt also. Auch auf Regierungsfrauen in blauen Kleidern und im Männermodus.

Bildwechsel. Nicht nur Kleider machen Leute. Auch die Spülmaschine hat eine feste Rolle im Geschlechterkampf. Vor Jahrzehnten noch war es eine junge Dame, die den Besuch des Nachbarn erwartete. Aber ihre Gläser, frisch aus der Spülmaschine, hatten, ach du Schreck – Kalkränder. Nein – so kann man keinen Herrenbesuch empfangen. Aber dann gab es ja doch noch gerade rechtzeitig das richtige Spülmittel. Der Mann konnte kommen.

Heute ist alles ganz anders. An der Spülmaschine steht der Mann. Und das Glas hat die Gestalt einer Auflaufform, in der reichlich angebratene Sauce zurückgeblieben ist. Während die ganze Familie, vor allem aber die Frau, zweifeln, kennt der Mann sich aus. Weil er weiß, dass mit dem richtigen Spülmaschinentab auch in Härtefällen immer noch die Ökotaste im Spülmaschinenprogramm ausreicht. Das Ergebnis ist glasklar.

Also: Der Mann ist ein Mann, wenn er die Spülmaschine beherrscht. Nebenbei gesagt, ist die Frau neben ihm nun zwar längst nicht mehr das Dummchen am Herd, aber dafür jetzt das Dummchen an der Spülmaschine. Erst weiß sie nicht, wie man Kalkränder vermeidet. Dann weiß sie nicht, was das Ökoprogramm kann. Das nenne ich mal einen echten Anachronismus. So eine dumme Frau – und das in einer Gegenwart, in der es (auch) die Frauen sind, die die Kriege führen. Und nicht nur Annalena Baerbock darf das selbstverständlich in Frauenkleidern tun. Auch die Verteidigungsministerinnen der letzten Jahre legten Wert aufs klassische Kostüm. Allerdings weniger feminin, wenn ich das richtig sehe.

Von wahrer Geschlechtergerechtigkeit aber sind wir immer noch weit entfernt. Denn während der Mann des alltäglichen Lebens, also der Mann, der über, unter oder neben uns wohnt, seine Rollenzweifel lebt und seine neuen Rollen übt, die Spülmaschine einräumt und die Kinder in die Kita bringt, bei Frauenkleidern aber immer noch eher vorsichtig ist, regieren uns Männer und Frauen, die ganz genau wissen, wann der Mann ein Mann ist. Oder glauben sie, dass Olaf Scholz oder Robert Habeck die Spülmaschine beherrschen? 

Zurück zu den Anfängen. Hat schon mal jemand gefragt, wann die Frau eine Frau ist? Gut, damit sind wir dann schon wieder in Definitionszwängen gefangen. Aber wenn die Befreiung der Frau darin gipfelt, dass die emanzipierte Frau nicht nur Maurerin, Kanzlerin, Verteidigungsministerin und Außenministerin werden darf und dabei die Männer nicht nur in ihrer Berufung, sondern gleich auch noch in ihrem Wesen übertrifft, dann ist die Frage längst überfällig: Wann ist die Frau eine Frau? Oder wie viel Frauenanteile darf die Frau auf ihrem Weg nach oben oder anderswo behalten? Wie viel sollte sie behalten?

Und: Darf die Frau denn nun auch endlich die Herrschaft über die Spülmaschine in Angriff nehmen? Die ganze, schwere und ganz entsetzliche Wahrheit über die Energieeffizienz der Spülmaschine wurde uns übrigens neulich, am Tag des nachhaltigen Abwaschs, das ist seit 2004 der 10. Mai, mitgeteilt: Es stimmt nur in der Regel oder im Grundsatz, dass die Spülmaschine energiesparender und effizienter spült als der Mensch. Tatsächlich nämlich hat der händische Abwasch, sofern er sparsam, nachhaltig, ohne Wasserwechsel, ohne zweiten Spülgang – also in keinster Weise verschwenderisch – vonstattengeht, in puncto Energieeffiezienz eben doch die Nase vorn.

Nun sind wir von der Frage nach dem richtigen, dem passenden Geschlecht vom Wege abgekommen und sind mitten in den Fragen nach der Wirtschaftlichkeit. Also ganz dicht am Auftrag aus dem Wirtschaftsministerium: Energiesparen ist das Erfordernis dieser unserer Zeit, sagt auch der Wirtschaftsminister Robert Habeck. Also einer der Herrscher über die Spülmaschinen.

Und: Wer macht jetzt in Zukunft den Abwasch von Hand? Mann oder Frau? Oder vielleicht Robert Habeck? Sollten wir sie jetzt Roberta nennen? Ach nein, jetzt fange ich ja an zu spinnen …

 

© Mechthild Eissing, 11.06.2023



Quellen:


Der Mann in Frauenkleidern, Artikel aus der Borkener Zeitung, 12.05.1939


Zur Werbung fürs Geschirrspülmittel:
https://www.youtube.com/watch?v=zv7Ym_Vs71E


Infos zum Abwasch:
https://www.geo.de/natur/nachhaltigkeit/17996-rtkl-nachhaltiger-abwasch-wer-ist-sparsamer-geschirrspueler-oder-mensch


Songtext „Männer“, Herbert Grönemeyer:
https://songtextes.de/songtexte/herbert-groenemeyer-maenner





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